Einführung: Claudio Monteverdi - Marienvesper - 2002


Einführung zum Konzert am 8. Dezember 2002

„Vesper“ ist vom lateinischen „vespera“, d.h. „der Abend“, abgeleitet und bedeutet das liturgische Abendgebet in der katholischen Kirche. Die Liturgie der Vesper besteht aus fünf Antiphonen und fünf Psalmen, die im Wechsel gesungen werden. An den Marienfesten wurde die Vesper mit dem „Magnificat“ gleichsam als Höhepunkt der Vesperliturgie abgeschlossen.

In der Zeit des 16.-17. Jahrhunderts führte der mehrstimmige Gesang zu bedeutenden Vertonungen der Psalmen und des Magnificats. Dieses bis in das 18. Jahrhundert oft auch als eigenständiges Kunstwerk. Man denke nur an die herrliche Komposition des Magnificats von Johann Sebastian Bach (BWV 243).

Auch im evangelischen Gottesdienst gab seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Vesperliturgien.

Claudio Monteverdi kam im Mai 1567 in Cremona zur Welt und starb am 29.11.1646 in Venedig. Dort bekleidete er seit 1613 bis zu seinem Tod das Amt des Kapellmeisters an der Markuskirche und damit eine der herausragenden Stellungen für einen Musiker des 17. Jahrhunderts. Uns Heutigen ist er allerdings eher als Schöpfer von Madrigalen und Opern als von kirchenmusikalischen Werken bekannt. Im Jahre 1607 gelang Monteverdi mit seiner Oper „Orfeo“ das bedeutendste Werk der frühen Operngeschichte, die erste Oper großen Stils.

Er erweiterte das bis dahin grundlegende „tonale System“ durch Chromatik und Enharmonik, verlieh dem Orchester Selbständigkeit gegenüber den Sängern und beeinflusste die Entwicklung der reinen Instrumentalmusik entscheidend durch seine Orchestervorspiele und Zwischenmusiken.
Als wesentliche Neuheit dürfte zur damaligen Zeit die Übernahme der polyphonen Schreibweise aus der Kirchenmusik in die Opernmusik empfunden worden sein. Claudio Monteverdi war der herausragende Meister des 17. Jahrhunderts, von dem der Deutsche Heinrich Schütz vielfältige Anregungen erhielt.

Die Marienvesper oder wie sie mit ihrem vollständigen Titel heißt: „Vespro della Beata Virgine“ wurde von Claudio Monteverdi 1610 komponiert und im Druck herausgegeben. Sie ist das Werk eines Übergangs. Mit ihren Wurzeln reicht sie in das 16. Jahrhundert zurück, und mit der Aufnahme neuer Stilelemente weist sie weit über das 17. Jahrhundert hinaus. Scholastischer Kontrapunkt des 16. Jahrhunderts steht neben der neuen blühenden Polyphonie und schwere modale Harmonien hören wir neben weicherer barocker Tonalität. Diese Vielfalt ist sicher ein Grund für die Faszination, die von diesem Werk auch in die Gegenwart ausstrahlt.

Die heutige Aufführung, bei der das Telemannische Collegium Michaelstein auf historischen Instrumenten musiziert, wird durch einen Solo-Vers aus der Gregorianik eröffnet, dem der 6-stimmige Chor in der Harmonisierung des „Ein-Ton-Gesangs“ antwortet. Es folgen fünf Psalmvertonungen, bei denen sowohl der Chor wie auch die Solisten mit dem Orchester zu hören sind. Nach den ersten vier Psalmen erklingen jeweils Wechsel Sätze, die von Monteverdi mit „Concerto“ bezeichnet sind. Diese sind im wesentlichen den Solisten vorbehalten. Mit dem Psalm „Nisi dominus“ (Satz 8) hat die Marienvesper in dem prachtvollen Doppelchor für 10 Stimmen einen ersten Höhepunkt.
Der erste Teil des Werkes schließt mit dem Hymnus „Ave Maris Stella“ für Soli, Chor und eigenständigen Orchesterzwischenspielen – einem weiteren Höhepunkt der Marienvesper.
Der zweite Teil ist dem Magnificat gewidmet. Jeder der 12 Verse wird als abgeschlossene Einheit behandelt. Der Vertonung liegt der 1. Psalmton zugrunde. Er steht, in langen Noten gesungen, im Vordergrund. Aber auch hier beeindrucken die große stilistische und technische Vielfalt.

                    Torolf Müller

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