Einführung: Frank Martin - Golgotha - 2008


Einführung zum Konzert am 9. März 2008

Mit dem Passionsoratorium “Golgotha” wird im heutigen Konzert ein chorsinfonisches Werk aus der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgeführt. Komponiert hat es der bedeutende Schweizer Musiker Frank Martin.
Das Oratorium erklingt in der französischen Originalsprache und in diesem Jahr zum zweiten in der Münchner Paul-Gerhardt-Kirche.

Der Komponist Frank Martin wurde am 15.9.1890 als jüngster Sohn eines protestantischen Pfarrers aus einer seit 1750 in Genf ansässigen hugenottischen Familie in Genf geboren. Nach dem Abitur widmete er sich zunächst naturwissenschaftlichen und mathematischen Studien, ehe er sich 1910 endgültig für die Musik entschied und bei dem Genfer Komponisten Joseph Lauber Hamonielehre, Komposition und Instrumentation studierte. Schon 1911 erschien sein Name erstmals auf den Programmen eines Schweizer Tonkünstler-Festes. Ab 1928 entfaltete er auch eine reiche pädagogische Tätigkeit an verschiedenen Genfer Instituten.
Im Sommer 1946 siedelte sich Frank Martin mit seiner Familie in Amsterdam an.Von dort aus wirkte er in den Jahren 1950-1957 als Professor für Komposition an der Musikhochschule in Köln.

Frank Martins kompositorische Entwicklung prägten verschiedene Phasen.
Stand er als Heranwachsender im Banne der Musik Johann Sebastian Bachs, so entdeckte er als Schüler und Abiturient Chopin, Schumann, Wagner und später auch Mussorgsky, Monteverdi und Debussy für sich.
In seinen ersten Kompositionen ist noch der Einfluss der deutschen Romantiker und Franz Liszts zu spüren, bald finden sich aber Anklänge an César Franck, Gabriel Fauré, Debussy und Ravel. Anfangs der zwanziger Jahre begann Frank Martin sich mit der “Neuen Musik” und auch besonders mit rhythmischen Problemen auseinander zu setzen. 

Von sehr großer Bedeutung wurde seine Begegnung mit der Kompositions-Methode Arnold Schönbergs, etwa ab dem Beginn der dreißiger Jahre. Durch die Verbindung der dodekaphonischen Technik mit seinem individuellen und tonalen Empfinden gelangte Frank Martin zu einer ganz persönlichen musikalischen Sprache, in der Elemente des französischen Impressionismus und die Zwölfton-Technik eine grundlegende Bedeutung gewannen. Ohne die eigentliche Reihen-technik im Schönbergschen Sinn anzuwenden, verwendete Martin häufig Zwölfton-Melodien, die er mit einer nichtfunktionalen Dreiklangsharmonik in Beziehung setzte, wobei eine homophone und eine polyphon sehr dichte Satzweise einander gegen-übergestellt werden.

Sein 1941 komponiertes Kammer-Oratorium “Le Vin herbé” (“Der Zaubertrank”) hat seinen Namen auch im Ausland bekannt gemacht. Internationalen Ruhm erlangte  seine “Petite Symphonie concertante”, die 1945 in Zürich uraufgeführt wurde und in kurzer Zeit ihren Siegeszug durch die ganze Welt antrat.

Frank Martin starb am 21.11.1974 in Naarden, Niederlande.

Das Werk
Frank Martin wurde durch die Radierung “Die drei Kreuze” von Rembrandt mit ihrer faszinierenden Licht- und Schattenverteilung angeregt, eine Komposition zum Passionsgeschehen zu schreiben. Er beschäftigte sich dazu mit den Passionen Bachs, die er schon in seinem Elternhaus kennen gelernt hatte.

Eine Aufführung von Bachs Matthäuspassion hatte auf den Zehnjährigen einen unvergesslichen Eindruck gemacht. Sein Oratorium “Golgotha” - der Name ist aus dem aramäischen golgoltha (allgemeine Bezeichnung für Schädel  bzw. Hügel) abgeleitet - entstand in den Jahren 1945  - 1948 und ist zweiteilig angelegt.

Der I. Teil wurde im Januar 1946 abgeschlossen und umfasst die Sätze 1-5.
Teil II wurde im Jahre 1948 beendet und enthält die Sätze 6-10.

Die Erstaufführung fand am 29. April 1949 in Genf statt. Das Werk erfordert die Solostimmen Sopran, Alt, Tenor, Bariton und Bass sowie Chor und großes Orchester. Jesu Worte werden vom Bariton, der Hohe Priester vom Bass, Pilatus vom Tenor gesungen.
Die Texte des Passionsberichts sind den 4 Evangelien entnommen, die Texte der eingeschobenen betrachtenden Teile bzw. der rahmenden Sätze 1, 6 und 10 entstammen Psalmversen und den Bekenntnissen und Meditationen des Kirchenlehrers Aurelius Augustinus (lebte von 354 bis 430).

In 7 Bildern wird der Leidensweg Jesu Christi geschildert: dabei übernehmen die Solisten abwechselnd - und stellenweise auch der Chor - die Rolle des Evangelisten:

Satz 2: Das Palmfest - Jesu Ankunft in Jerusalem
Satz 3: Die Rede im Tempel - Jesus lehrte im Tempel
Satz 4: Das heilige Abendmahl
Satz 5: Gethsemane
Satz 7: Jesus vor dem Hohen Rat
Satz 8: Jesus vor Pilatus
Satz 9: Kalvarienberg

Frank Martin unterscheidet mit kompositorischen Mitteln zwischen den betrachtenden Abschnitten und dramatischer Aktion: Gehaltene Töne (Orgelpunkt) und schwebende Klänge in erweiterter Tonalität heben das zeitliche Erleben auf.
Dagegen verdeutlichen flexible rhythmisch metrische Akzente und die Verflechtung imitatorischer Linien und ostinater Motive (Wiederholungen) mit scharfen Dissonanzen das dramatische Geschehen.
Frank Martin hat mit seinem Oratorium “Golgotha” das Wagnis unternommen, in den schwierigen Jahren nach dem katastrophalen Ende des 2. Weltkrieges die Geschichte von der Passion Jesu Christi in einer zeitgenössischen musikalischen Sprache auszudrücken.

                    Torolf Müller

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